Signal aus Brüssel sollte auch in Bern gehört werden

    Kernenergie und Klimaschutz

    Kurz vor dem Jahreswechsel kam ein wichtiges energie- und klimapolitischen Zeichen aus Brüssel. Die EU-Kommission stuft Investitionen in die Kernenergie neuerdings als klimafreundlich und nachhaltig ein.

    (Bilder: Kernkraftwerk Leibstadt) Das Kernkraftwerk Leibstadt ist seit 1984 am Netz und das leistungsstärkste Kernkraftwerk der Schweiz.

    Überraschend kam diese Entscheidung nicht, auch wenn vor allem Kritiker in einzelnen Mitgliedsstaaten Glauben machen wollten, sich überrumpelt zu fühlen. Bereits im Oktober des vergangenen Jahres hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen öffentlich angekündigt, dass die EU für den europäischen «Green Deal» auf Kernenergie als stabile Energie und auf Gas als Brückentechnologie setze. Und schon Mitte des letzten Jahres kam die Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission zu dem Schluss, dass die Kernenergie weder für die menschliche Gesundheit noch für die Umwelt schädlicher ist als jede andere als nachhaltig geltende Technologie zur Energieerzeugung.

    Verzicht auf ideologische Scheuklappen
    Insofern folgt die Kommission den Empfehlungen ihrer wissenschaftlichen Berater und verzichtet auf ideologische Scheuklappen. Das ist sehr zu begrüssen. Denn die Wissenschaft ist hier eindeutig: Die Kernkraft ist eine der CO2-ärmsten Technologien zur Energiegewinnung – auch über den gesamten Lebenszyklus. Der CO2-Ausstoss ist vergleichbar mit Windenergie, leicht niedriger als Solarkraft, aber massiv unter den Werten der fossilen Energien. Auch beim Platzbedarf und Rohstoffverbrauch ist die Kernenergie auf den Spitzenplätzen.

    Dabei sind die Anforderungen für die Kernenergie kein Selbstläufer: Investitionen in neue Kernkraftwerke sind nur möglich, wenn die Anlagen dem neuesten Stand der Technik und damit höchsten Sicherheitsstandards entsprechen. Eine weitere Bedingung ist, dass die Baugenehmigungen für die neuen Kernkraftwerke bis spätestens 2045 erteilt werden müssen. Die grösste Hürde ist zweifelsohne die Pflicht, einen konkreten Plan für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle vorzulegen, der den Betrieb einer Entsorgungsanlage ab 2050 umfasst. Nachdem heutigen Stand wäre wahrscheinlich einzig Finn- land in der Lage, diese Anforderung zu erfüllen. In der Schweiz geht die Nagra von einem Betriebsstart 2060 aus. Wenn die Vorgaben für die Kernenergie eine realistische Wirkung entfalten sollen, müsste an dieser Stelle nochmal nachgebessert werden. Der europäische Nuklearverband Foratom schlägt etwa vor, die Frist für ein betriebsbereites Lager an den Zeitpunkt des Bedarfs zu knüpfen.

    Enormer technologischer Fortschritt
    Grundsätzlich anerkennt die EU- Kommission jedoch den enormen technologischen Fortschritt der Nuklearbranche in den letzten Jahrzehnten. Sie entkräftet die Kritik, dass Kernkraftwerke, die aktuell gebaut werden, nicht sicher seien. Ausserdem schafft die Kommission durch die Frist für Baugenehmigungen bis 2045 einen Anreiz für einen schnelleren Ausbau der Kernenergie und begegnet der Kritik, die Kernenergie komme zu spät für den Klimawandel.

    Auch Gaskraftwerke werden von der EU-Kommission übergangs- mässig als nachhaltig eingestuft, was als Eingeständnis an Deutschland bewertet werden kann. Dass von dort die lautesten Vorwürfe in Richtung Brüssel hinsichtlich der Einstufung der Kernenergie kamen, war zu erwarten. Dass Deutschland aber Gaskraftwerke, die rund 40 mal mehr CO2 ausstossen als Kernkraftwerke, dagegen wiederum mit einem Nachhaltigkeits-Siegel versehen möchte, zeugt von einer gewissen Doppelmoral beim Thema Klimaschutz.

    Der Entwurf der EU-Kommission sieht aber auch vor, dass neue Gaskraftwerke nur gefördert werden sollen, wenn sie alte fossile Anlagen ersetzen. Werden aber umgekehrt anstelle von sauberen Kernkraftwerken Gaskraftwerke gebaut – diese Idee wird ja in der Schweiz mittlerweile offen diskutiert – wäre dies klimapolitisch kaum nachvollziehbar.

    Die EU-Kommission hat auf wissenschaftlicher Basis einen sinn- vollen Vorschlag vorgelegt, der die Kernenergie als Teil der Lösung für den Klimaschutz einbezieht. Dieses starke Signal sollte auch in Bern gehört werden.

    Hans-Ulrich Bigler
    Präsident Nuklearforum Schweiz und Direktor
    Schweizerischer Gewerbeverband sgv

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