Eine naturverträgliche Energiewende ist möglich

    In seinem Gastbeitrag für die «Umwelt Zeitung» beschreibt Jonas Schmid vom WWF, wie wir die Energie- und Klimakrise bewältigen können, ohne die Biodiversität zu gefährden. 

    (Bild: Martin Ruchti ) Matchentscheidend für die Versorgungssicherheit ist der rasche und konsequente Ausbau der Photovoltaik.

    Sicheren Strom aus der Steckdose brauchen wir alle. Wichtig ist dem WWF jedoch eine möglichst umwelt- und naturverträgliche Versorgung der Schweiz mit erneuerbaren Energien. Wenn wir diese rasch ausbauen und gleichzeitig die Verschwendung stoppen, können wir zusätzliche Stromverbraucher wie Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen versorgen und zugleich eine sichere Stromversorgung aufrechterhalten. 

    Heute nutzen wir die produzierte Energie weder wirkungsvoll noch sparsam. Viel wird schlichtwegs verschwendet: Aus dem Fenster geworfen, weil Gebäude schlecht isoliert sind. In Industrie- und Gewerbeunternehmen verschleudert, die ihr Stromeinsparpotenzial nicht kennen oder nicht nutzen. Umsonst verbraucht, weil Geräte ungenutzt laufen statt abgestellt werden. Fakt ist: Allein beim täglichen Stromverbrauch könnten Unternehmen und Privathaushalte rund ein Drittel des Stromverbrauchs einsparen, ohne es zu merken.

    Die günstigste und umweltfreundlichste Energie ist also jene, die wir gar nicht produzieren müssen. So erreichen wir nicht nur unsere Klimaziele schneller, sondern mindern auch den Ausbau-Druck bei den erneuerbaren Energien. Das kommt wiederum der Natur zugute. 

    Klima- und Artenkrise gemeinsam angehen
    Die Klimaerhitzung und das rapide Artensterben sind untrennbar miteinander verbunden. Bereits heute sind die Auswirkungen der Klimaerhitzung auf die natürlichen Ökosysteme deutlich sichtbar, verursacht durch das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas und das Abholzen von Wäldern. In der Wirtschaft setzt sich immer stärker die Erkenntnis durch, dass rasches Handeln gegen die Klimaerhitzung und das Artensterben von existenzieller Bedeutung ist – und dass sich die beiden Krisen gegenseitig verstärken und nur gemeinsam bewältigt werden können. 

    Ein unbedachter Ausbau erneuerbarer Energien kann weitere massive Nachteile für die Artenvielfalt mit sich bringen. Daher ist es wichtig, Projekte umsichtig zu planen und die Werte der Natur frühzeitig in die Abwägung der Interessen einzubeziehen.

    Nicht immer lassen sich dabei Eingriffe in die Natur vermeiden. Wir müssen also nach Lösungen suchen, welche diese Eingriffe minimieren und zugleich anderenorts die Natur entlasten. Oft wird behauptet, das Scheitern neuer Wasserkraftwerke verhindere die Energiewende. Diese Behauptung blendet zwei Punkte völlig aus: Einerseits wie klein das Ausbaupotenzial bei der Wasserkraft noch ist. 95 Prozent des nutzbaren Potenzials der Wasserkraft in der Schweiz werden bereits genutzt. Und andererseits, dass es zahlreiche Beispiele gibt, wo sich Umweltschützer und Kraftwerksbetreiber in konkreten Verhandlungen einigen konnten. Mit dem Runden Tisch Wasserkraft wurden diese Verhandlungen letztes Jahr erfolgreich auf die nationale Ebene gehoben. Dabei zeigte sich, dass sich vermeintliche Gegner auf eine Liste mit Projekten einigen können, die energetisch das grösste Potenzial bei möglichst minimalen Auswirkungen auf die Biodiversität versprechen. 

    Energiewende gelingt ohne Abstriche beim Naturschutz
    Diese Projekte erlauben es, gezielt die steuerbare Winterproduktion der Wasserkraft um bis zu 2 TWh zu steigern und damit die Versorgungssicherheit im Winter zu stärken. Dieser Kompromiss gelang, ohne Abstriche beim gesetzlichen Schutz der Biotope von nationaler Bedeutung (allerwertvollste Gebiete wie das Val Roseg oder die Greina) oder bei angemessenen Restwassermengen. Ganz im Gegenteil: Diese Schutzbestimmungen waren ein Kernelement des Kompromisses. Wird die Absichtserklärung entsprechend dem positiven Geist der Verhandlungen auch umgesetzt, kann unter dem Strich sogar die Natur gewinnen.

    Der Runde Tisch zeigt: die Energiewende gelingt auch ohne Abstriche beim Naturschutz. Matchentscheidend für die Versorgungssicherheit ist nun aber der rasche und konsequente Ausbau der Photovoltaik. Zudem gilt es die Stromverschwendung zu stoppen. Hier liegen die grosse Potenziale. So lassen sich Biodiversitäts- und Klimakrise gemeinsam angehen, statt sie gegeneinander auszuspielen.

    Jonas Schmid


    Zur Person: Jonas Schmid, 40, arbeitet beim WWF als Kommunikationsberater für Biodiversitätsthemen. Zuvor war er Journalist, u.a. im Bundeshaus für die «Südostschweiz». Er hat Politikwissenschaften an der Universität Bern studiert. 

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